Der Einfluss sozialer Netzwerke auf die gesellschaftliche Entwicklung

Inwiefern wird diese Entwicklung durch soziale Netzwerke beeinflusst und wie wirken diese eigentlich?

Indem ich jetzt den Bogen von der beobachteten allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung hin zur Rolle der sozialen Netzwerke spanne, komme ich zum entscheidenden Punkt meines Artikels. Die Mechanismen des Informationsflusses in solchen Netzwerken unterscheiden sich in elementar von denen klassischer Medien. Diese Antagonismen möchte ich in den nachfolgenden Ausführungen genauer darstellen.

Wenn sich weite Teile der Bevölkerung von den etablierten Medien abwenden und einen Großteil ihrer Informationen überwiegend aus sozialen Netzwerken beziehen, weil diese so einfach verfügbar und scheinbar so objektiv sind, dann ist genau darin eine große Gefahr für die Demokratie zu sehen.

Eine Filterblase – Was ist das?

Die Teilnehmer bewegen sich subjektiv in einem Umfeld von Freunden und Gleichgesinnten und bekommen in ihren sogenannten Feeds genau die Nachrichten vorgesetzt, die ein intelligenter Algorithmus als passend erachtet. Dies bestimmt sich unter anderem danach, was man selbst mag, aber auch was Freunde mögen. Unabhängig davon sieht man in seinem Feed nur Meldungen von Seiten, die man irgendwann einmal abonniert hat, oder die Freunde weiterleiten. Vorschläge für neue Gruppen, Veranstaltungen oder Seiten, die man abonnieren könnte, ermittelt natürlich ebenso die Logik des Netzwerks. Auf diese Weise erhält man kein objektives Bild einer Gesamtheit. Hierin liegt ein gravierender Unterschied zu den klassischen Medien. Das Lesen einer Zeitung oder das Betrachten einer Nachrichtensendung erlaubt es stets alle relevanten Meldungen wahrzunehmen.

Widersprüche im Nachrichten-Feed wollen soziale Netzwerke jedoch zwingend vermeiden. Dies würde den Nutzer eher abschrecken, als auf der Plattform binden. Das dargestellte Phänomen bezeichnet man auch als Filterblase. Diese Filterung geschieht nicht nur durch die Algorithmen zur Selektion der Feed-Meldungen, sondern vielmehr implizit durch die Art der Verwendung des sozialen Netzwerks selbst und ist somit leider sehr wirkungsvoll. Anders wäre die Vielzahl der Meldungen zum Beispiel auf Facebook ohnehin nicht zu überblicken. Jeder Nutzer hat seinen ganz persönlichen Feed von Nachrichten. Dazu kommt noch das psychologische Phänomen, unliebsame Nachrichten in der eigenen Wahrnehmung sowieso eher auszublenden. Das ist sozusagen unsere eingebaute biologische Filterblase.

Des Weiteren gilt: Durch die Atmosphäre unter Freunden ist man leichter geneigt, Meldungen von eben diesen unkritischer zu betrachten und zu liken oder an andere weiterzuleiten. Menschen, die echte Zeitungsmeldungen als Lüge ansehen, im sozialen Netzwerk aber jede Nachricht ohne nachzudenken weiterleiten, sind damit genau im Sinne von Demagogen unterwegs.

Dieses beschriebene Wirkungsprinzip kann man den sozialen Netzwerken, allen voran Facebook aber nicht als Makel vorwerfen, denn es ist ja gerade das Ziel dieser Plattformen, eine große Anzahl von Nutzern anzusprechen, und dass diese möglichst lange im System verweilen. Die Online-Zeit, welche die Benutzer dort investieren, ist die eigentliche Währung dieser Angebote. Die Werbeeinnahmen sowie der Wert der gesammelten Daten steigen proportional zur erreichten Menge an Benutzerzeit. Man sollte sich dessen bei der Nutzung bewusst sein. Der Betreiber der Plattform selbst hat ein rein kommerzielles Interesse an den Nutzern. Er greift in der Regel nicht moderierend in die Art der Benutzung ein, solange kein geltendes Recht verletzt wird.

Was ist unter Echokammer-Effekt zu verstehen?

Darüber hinausgehend besteht in sozialen Netzwerken das erhöhte Risiko unmerklich von der Wirkung des sogenannten Echokammer-Effekts betroffen zu sein. Durch die vorangehend beschriebene Selektion von Meinungen in sozialen Netzwerken finden sich schnell viele Gleichgesinnte in Gruppen zusammen. Dort bleibt man unter sich. Es herrscht ein scheinbarer Konsens und es stellt sich unter den Teilnehmern schnell das Gefühl ein, einer überlegenen Mehrheit anzugehören. Kritische Stimmen mit anderer Meinung, die sich in einzelne Diskussionsfäden einer solchen Gruppe verirren, werden sofort von einer großen Anzahl von Benutzern bestürmt. Die Gruppe verliert dadurch jede Gegenrede und reflektiert nur noch im eigenen Universum. Dies ist sogar ein selbstverstärkender Prozess. Je mehr Teilnehmer mit der gleichen Meinung sich in einer Gruppe zusammenfinden, desto größer wird das Überlegenheitsgefühl, und desto mehr wiederum wird die eigene Meinung des Einzelnen bestätigt. Außerdem finden sich neue Nutzer mit gleicher Meinung nun noch schneller zu dieser Gruppe, weil sich die Reichweite der Gruppe durch die vorher neu hinzugekommenen Nutzer erhöht hat. Dieses Phänomen ist in dieser Form nur in virtuellen Gruppen im Internet möglich. Im echten Leben scheitert dieser Effekt am fehlenden Überlegenheitsgefühl, da die Gruppe mit abweichender Meinung stets physisch präsent ist und damit sichtbar bleibt. Im sozialen Netzwerk hingegen wird sie ausgeblendet, weil sie sich außerhalb der Filterblase der betroffenen Teilnehmer befindet.

Umgangsformen in virtuellen Räumen und Rückkopplung

Weil das Tun und Handeln jedes Menschen stark durch das Umfeld, in dem er sich bewegt, bestimmt wird, führt dies gleichfalls in der Zivilgesellschaft zu einer starken Enthemmung der Gruppenteilnehmer. Durch die gefühlte Überlegenheit der vertretenen Meinung, sehen sich diese Gruppenteilnehmer legitimiert, eben diese Meinung auch durchzusetzen. Es findet also eine Rückkopplung von der virtuellen Welt der sozialen Netzwerke in die reale Welt statt.

Diskussionen in virtuellen Räumen haben zudem die unangenehme Eigenschaft, dass die Art von Empathie, welche wir aus persönlichen Gesprächen von Angesicht zu Angesicht kennen, leider sehr schnell verloren geht bzw. vollkommen fehlt. Subtile Reaktionen des Gegenübers werden nicht wahrgenommen, was schnell zu einer Entgleisung der Diskussionskultur führt und häufig in gegenseitigen Anschuldigungen und persönlichen Beleidigungen endet. Diesen Effekt konnte man bereits bei Aufkommen der ersten Internetforen in den Neunzigerjahren beobachten. Dieser als Usenet bezeichnete Vorläufer heutiger sozialer Netzwerke, hatte sich zur Regulierung der Umgangsformen unverbindlich die sogenannte Netiquette verordnet, was meist trotzdem nicht ausreichte, um alle Nutzer im Zaum zu halten. Eine Rückkopplung von den sozialen Netzwerken in die Zivilgesellschaft lässt sich somit auch in dieser Stelle nicht ausschließen. Man könnte also soweit gehen, zu behaupten, dass die allgemein zu beobachtende Verrohung der Umgangsformen im öffentlichen Leben nicht zuletzt eine direkte Folge fehlenden Anstands in virtuellen Räumen ist.

Durch die direkte Interaktion der Nutzer in sozialen Netzwerken und durch die einfache Möglichkeit Bildmaterial und Videoaufnahmen zu verbreiten, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Allerdings gilt dies leider auch für die Beeinflussung der Meinungsbildung. Der Aspekt der sehr großen Reichweite muss ferner besondere Beachtung finden. Soziale Netzwerke können deshalb sehr stark zur Emotionalisierung von Themen beitragen. Diesbezüglich findet nahezu keine Filterung oder Regulierung durch die vorwiegend US-amerikanischen Anbieter dieser Plattformen statt. Es gilt das dortige Medienrecht, und dieses ist nun einmal eher darum besorgt Nacktbilder und Schimpfwörter zu vermeiden, als Hass, Hetze oder Menschenfeindlichkeit.

Fake News – Fragen, die man sich stellen sollte

Nachdem man sich die Funktionsweise sozialer Netzwerke solchermaßen vor Augen geführt hat, sollte man versuchen sich die folgenden Fragen unter eben diesen Gesichtspunkten zu beantworten:

  • Was passiert wenn man unterstellt, dass Falschmeldungen in sozialen Netzwerken von Demagogen gezielt zur Meinungsbildung eingesetzt werden?
  • Welche Auswirkungen hat es, wenn Gerüchte in Gruppen mit großer Reichweite lanciert werden, um gezielt zu verunglimpfen oder aufzustacheln?
  • Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hat es, wenn durch absichtliche Überspitzung tatsächlicher Ereignisse eine zusätzliche Emotionalisierung der Bewertung und Wahrnehmung derselben erreicht wird?

Die Wirkung von Fake News steigert sich durch soziale Netzwerke enorm. Falschmeldungen haben durch die gebotene Infrastruktur eine sehr große Reichweite und sie verfangen sehr gut innerhalb der Filterblasen. Spätere Richtigstellungen oder Relativierungen hingegen dringen nur in geringem Maße zu den ursprünglichen Adressaten durch.

Zusammenfassung

Die Wirkungsmechanismen sozialer Netzwerke wurden vorangehend umfangreich erörtert. Abschließend möchte ich die Kernaussagen kurz in Stichpunkten zusammenfassen:

  • Soziale Netzwerke sind ein Massenmedium mit großer Reichtweite.
  • Sie sind ein effizientes Werkzeug zur Vernetzung großer Gruppen.
  • Die Meinungsbildung kann, für die Teilnehmer unbewusst, durch Filterblasen und Echokammern beeinflusst werden. Dies stellt einen gravierenden Unterschied zu klassischen Medien dar, vor allem wenn das soziale Netzwerk als einzige verlässliche Nachrichtenquelle betrachtet wird.
  • Soziale Netzwerke können schwindende Empathie, eine Enthemmung gesellschaftlicher Umgangsformen und einen Verlust von Respekt gegenüber Andersdenkenden bewirken.
  • Sie fördern eine starke Emotionalisierung von Diskussionsthemen. Eine sachliche Auseinandersetzung wird dadurch unmöglich.
  • Soziale Netzwerke haben eine direkte Rückkopplung in unsere reale Gesellschaft.

Fazit

Einen Einfluss der zunehmenden Nutzung sozialer Netzwerke auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen kann und will ich nicht ausschließen. Offensichtlich stecken wir bereits mitten in einem aktiven Veränderungsprozess. Ich vertraue darauf, dass unsere Verfassung stark genug ist, sich daraus ergebende extremistische Tendenzen abzuwehren. Demokratie muss aktiv gelebt und immer wieder neu verteidigt werden.

Neue Medien haben in Deutschland schon einmal eine bedeutende Rolle bei der Machtergreifung einer extremen Partei gespielt. Sie verstand es als einzige ein damals neues Medium gezielt für ihre Propaganda zu nutzen, um das Volk für sich auf Empfang zu schalten. Schließlich wurde eine noch schwache Demokratie von einer Diktatur abgelöst.

Es ist nicht zielführend die heutigen neuen Medien als Teufelszeug zu verdammen, oder vielleicht nach Regulierung zu rufen. Sicherlich lassen sich sozialen Netzwerken ebenso viele positive Eigenschaften zuschreiben. Man muss jedoch die grundlegenden Wirkungsmechanismen durchschauen und verstehen. Soziale Netzwerke stellen ein effizientes Werkzeug dar, um große Gruppen zu vernetzen. Die Demokratie kann man nur dann aktiv vor negativen Folgen schützen, wenn sich möglichst viele Menschen auch der Gefahren für die Meinungsbildung und der Manipulationsmöglichkeiten unserer Psyche bewusst ist. Jeder sollte seinen eigenen aktiven Beitrag dazu leisten. Dieser kann und muss einerseits im direkten Widerspruch gegen extremes Gedankengut bestehen. Es kann aber andererseits auch schon nützlich sein, einfach einmal weniger auf den Like-Button oder auf Weiterleiten zu drücken…

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Update vom 30.09.2018:

Einen interessanten Beitrag zur Wirkungsweise von Fake News in sozialen Netzwerken hat der Kulturwissenschaftler und Autor Michael Seemann in seinem Blog ctrl-verlust.net veröffentlicht. Anhand detaillierter Analysen bezüglich der Ausbreitung von Twitter-Nachrichten in speziellen Fallstudien gelingt ihm die Visualisierung von Filterblasen in der Netzwerkstruktur. Er kann damit grafisch zeigen, wie sich komplett voneinander getrennte Meinungsgruppen zu bestimmen Themen bilden.

  http://www.ctrl-verlust.net/digitaler-tribalismus-und-fake-news/

Ursächlich dafür sieht er weniger rein technische Aspekte der neuen Informationsplattformen, sondern vielmehr moralisch-psychologische Ansätze, die in Verbindung mit den neuen Medien zu einer digitalen Stammesbildung führen (These des digitalen Tribalismus) und damit eine bisher ungeahnte Wirkungsmächtigkeit auf die gesellschaftliche und demokratische Entwicklung ausüben.